Wie kann man seriöse sexpositive Angebote erkennen?
Zur Zeit bekomme ich in meine Timelines diverse Angebote für sexpositive Festivals, Workshops und Partys geschwemmt. Manche davon recht konkret und plausibel klingend (vom Massagekurs über den Fesselworkshop bis zur Poledanceparty), andere eher nebulös, esoterisch oder mit weltanschaulich-politischen Heilsversprechen werbend. Da ist von Revolution die Rede oder dem Ende der Einsamkeit oder wahrer Heilung durch die Entfaltung der ureigensten sexuellen Kräfte. Ich bin ja ziemlich Esoterik-avers und deshalb gruselt mich da eh schon, aber mein Unbehagen geht noch einen Schritt weiter: bei vielen Angeboten habe ich Sorge, dass diese Verquickung von sexuellen Inhalten, therapeutischen Heilungsverspechen und pseudoemanzipativem Befreiungsjargon (“befreie Deine gesellschaftlich tabuisierte Sexualität und Dich gleich mit”) sexuellem Missbrauch Tür und Tor öffnet bzw. zumindest das Risiko birgt, Erfahrungen zu machen, die man lieber nicht gemacht haben möchte.
Als ich meiner Irritation im sozialen Netzwerk Ausdruck gegeben hatte, hat mich ein Veranstalter solcher Festivals (der seriösen Sorte) kontaktiert und mich gebeten, mir sein Festivalprogramm daraufhin anzuschauen, ob ich irgendwo Bedenken hätte und sei es nur bezüglich des Wordings (was mich sehr gefreut hat), woraufhin ich mir überlegt habe, was für mich eigentlich ein seriöses Angebot ausmachen würde. Diese (teilweise natürlich subjektiven) Kriterien möchte ich mit Euch teilen- und sehr gerne auch diskutieren.
Aber zunächst einmal: was versteht man überhaupt unter “sexpositiv“? Mir ist das Wort zum ersten mal im Zusammenhang mit sexpositivem Feminismus begegnet, einer Form des Feminismus, der das positive Potential von Sexualität auch für Frauen sieht und Pornographie und Sexarbeit deswegen nicht grundsätzlich ablehnt. Für mich als Sexualforscherin heißt sexpositiv, dass ich mich in meiner Forschung nicht (nur) auf problematische Seiten von Sexualität beziehe (wie z.B. unerwünschte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten und Vergewaltigung) sondern mir anschaue, was Sex gut macht und ob und wie guter Sex glücklich macht. Ja und dann gibt es eben die sexpositiven Partys und sonstigen Veranstaltungen. Sexpositiv heißt dabei zunächst, dass Sex erlaubt ist, dass also Menschen Sex haben können, wenn sie es wollen.
Was ist aber da der Unterschied zu Swingerclubs oder dem Pornokino um die Ecke, in dem man auch Sex haben kann, das sich aber sicher nicht die Bezeichnung “sexpositiv” auf die Fahnen heften würde? Interessant finde ich die da die Definition von sexpositiv der International Society for Sexual Medicine, die neben der positiven Einstellung gegenüber Sex auch allgemeines und konkretes Wissen über die eigene und die Sexualität des/der Partner*in beinhaltet sowie die Bedeutung von Konsens betont. Und das wäre für mich schonmal ein erstes Qualitätsmerkmal sexpositiver Veranstaltungen, dass auf Konsens besonderen Wert gelegt wird (wobei ich damit nicht sagen will, dass das nicht auch ein Swingerclub ganz wunderbar hinbekommen kann – im Gegenteil)
Was wären also für mich Kriterien für eine seriöse sexpositive Veranstaltung?
- Konsens: Es gibt nicht nur ein verbales Bekenntnis zu konsensuellem Sex und einem generellen konsensualen Umgang miteinander, sondern es wird auch explizit kommuniziert und ggf. vorgelebt, was darunter jeweils verstanden wird (zum Beispiel “bevor Du eine Person berührst, frage, ob das erwünscht ist”). In Kursen und Workshops beinhaltet das meiner Ansicht nach auch, dass es ohne schiefe Blicke oder Nachfragen möglich sein muss, bei Übungen auszusetzen oder auch mit bestimmten Personen ohne Angabe von Gründen nicht zu üben. Teilnehmer*innen sollten aufgefordert und idealerweise auch angeleitet werden, da eigene Grenzen zu spüren und diese auch zu wahren, sowie die Grenzen der anderen unbedingt zu achten. Das gilt auch und vor allem für Kursleiter*innen: diese sollten immer nachfragen, bevor sie zu Demonstrationszwecken Teilnehmer*innen berühren. Andersherum gesagt: Angebote, bei denen Kursteilnehmer*innen vor die Wahl gestellt werden “ihre Grenzen zu überwinden” oder den Kurs abzubrechen, halte ich für unseriös. Bei sexpositiven Partys beinhaltet das neben der Kommunikation von entsprechenden Regeln, dass deren Einhaltung auch beobachtet und ggf. sanktioniert wird.
- Konsens ist immer dort eine besonders komplizierte Angelegenheit, wo es ein Machtungleichgewicht gibt. In einem Lehrer*innen- Schüler*innen- Verhältnis ist meist genau das der Fall. Deswegen halte ich Kurs- und Workshopleiter*innen, die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Workshops sexuelle und/oder romantische Beziehungen zu Teilnehmer*innen eingehen, für unprofessionell, vor allem dann, wenn der Kurs auch therapeutische Elemente enthält. Nicht umsonst ist es Therapeut*innen strengstens verboten, mit ihren Klient*innen sexuelle Beziehungen einzugehen. Veranstalter*innen sollten sensibel sein für entsprechende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse und das den entsprechenden Kursleiter*innen klar kommunizieren. Im Zweifelsfall kann man einfach nachfragen, ob ein bestimmter Veranstalter/eine bestimmte Veranstalterin so einen Codex hat und wie er aussieht.
- Transparenz: der Veranstalter/die Veranstalterin sollten klar kommunizieren, was Inhalt der jeweiligen Veranstaltung oder des jeweiligen Kurses sein wird und wie die Veranstaltung ablaufen wird. Verhaltensregeln sollten ebenfalls klar kommuniziert werden. Es sollte dargelegt werden, ob und inwiefern der Kurs therapeutische Anteile enthält, für welche Personen er geeignet ist und über welche Ausbildungen die Workshopleiterin verfügt.
- Keine Heilsversprechen: Ich bin ja grundsätzlich schonmal sehr skeptische was Seminarangebote mit therapeutischem Inhalt betrifft (Therapie gehört meiner Ansicht nach in ein explizites therapeutisches Setting, nicht in ein Wochenendseminar), aber diesen persönlichen Vorbehalt mal beiseite gelassen: was ich für jedenfalls unseriös und sehr gefährlich halte: Versprechen, durch die Befreiung und Ausübung von Sexualität Heilung zu erfahren. Natürlich kann ein gutes sexuelles Erlebnis auch mal heilend sein, genauso wie eine andere positive Lebenserfahrung, ein gutes Gespräch mit Freund*innen etc., aber pauschal ausgesprochen halte ich das Versprechen, durch Sex geheilt werden zu können für in höchstem Maße problematisch. Hier besteht die große Gefahr, dass Menschen über ihre persönlichen Grenzen gehen, weil sie ja geheilt werden wollen. Und dass andere Menschen genau das ausnutzen. Noch problematischer finde ich, wenn es hierbei nicht nur um individuelle Heilung geht, sondern auch um gesellschaftliche Anliegen, wie die “Heilung der Beziehung zwischen Mann und Frau” oder die “Überwindung von Krieg oder Gewalt durch eine befreite Sexualität”. Werden solche Maximen verinnerlicht, dann wird es praktisch unmöglich, zu Sex nein zu sagen, gefährdet man doch ansonsten das große Versöhnungswerk.
- Keine Geschlechteressentialismen: Das ist ein eher persönlicher Punkt, den ich hier trotzdem anführen möchte. Ich halte Angebote nicht für seriös, die von einem männlichen und einem weiblichen Prinzip ausgehen, heteronormativ sind (also schwulen und lesbischen Sex ausklammern) und behaupten, dass sich männliche Sexualität von weiblicher ganz grundlegend unterscheidet (und zwar aufgrund ihrer Natur, nicht aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse). Zwar haben Menschen mit einer Vulva und einer Vagina physiologisch anderen Sex als Menschen mit einem Penis, aber erstens sind nicht alle Männer Penisbesitzer und nicht alle Frauen Vulvabesitzerinnen und zweitens ist der Sex, den wir jetzt haben, eben auch von gesellschaftlichen Bedingungen beeinflusst und nicht zwangsläufig so, wie er gerade ist. Das als naturgegeben zu beschrieben, verfestigt diese Verhältnisse noch, anstatt Wandel zu ermöglichen und entbehrt wissenschaftlicher Fundierung.
- Keine Verquickung von politischem Anspruch und kommerziellen Angeboten. Ich denke, dass eine positive Grundhaltung zu und eine Enttabuisierung von Sexualität durchaus ein legitimes Anliegen sein kann (das ich übrigens teile). Und ich bin auch der Auffassung, dass sich Anbieter*innen von solchen Veranstaltungen auch politisch diesbezüglich positionieren können (und vielleicht sogar sollten?). Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, man könne sich in eine bestimmten Rahmen politisch betätigen (z.B. in dem suggeriert wird, man könne Teil einer wie auch immer gearteten Revolution werden), wenn es sich tatsächlich um ein kommerzielles Angebot handelt, für das bezahlt werden muss. Insofern plädiere ich dafür, politische Arbeit und Workshop/Festivalangebote klar zu trennen. Ganz bedenklich wird es schließlich, wenn kommerzielle Angebote Sexualität und Spiritualität und Politik verbinden. Da dem Sektierertum Tür und Tor geöffnet.
Wie findet Ihr diese Kriterien?. Sind sie geeignet, seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden? Sind sie zu streng? Oder zu wenig konkret oder gar zu wenig weitreichend? Ich würde mich über eine angeregte Diskussion in den Kommentaren sehr freuen!
Ich danke Reinhard Gaida für wichtige Inputs zu diesem Text!
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