Sind Sexualforscher*innen pervers? Das Stigma rund um die Sexualforschung. Oder: meine erste Sexualforschungskonferenz
Ich hatte mich sehr auf meine erste Sexualforschungskonferenz gefreut. In meiner “Heimat-“Disziplin Psychologie kommt Sexualität auf Konferenzen wenn überhaupt nur ganz am Rand vor. Und wenn dann das Übliche: “wie bekommen wir Leute dazu, Kondome zu benutzen”. Ich glaube in anderen Disziplinen ist das nicht so anders. In der Soziologie gibt es innerhalb der Europäischen Fachgesellschaft ESA (European Sociological Association) inzwischen immerhin eine Forschungsnetzwerk mit einer eigenen kleinen Konferenz. Dieses Jahr fand die in Krakau statt. Eine Sexualforschungskonferenz im katholischen Polen – nicht schlecht!
Krakau ist schön. Da war ich im Herbst schonmal – auf einer anderen ESA- Konferenz. Und auch die Konferenz war spannend. Ich habe interessante Leute kennengelernt, über deren Forschung ich in den nächsten Wochen noch mehr schreiben möchte, und auch selbst vorgetragen (auch dazu vielleicht bald mehr). Aber sie war nicht ganz so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, denn: es ging viel um sexuelle Orientierung, Identität, auch um Polyamorie und Sexarbeit, aber so wirklich um Sex – also darum, was Menschen konkret miteinander im Bett oder anderswo tun – darum ging es nicht. Was ich ein wenig schade fand. Ich finde ja, dass die Soziologie da durchaus Interessantes beizutragen hätte – schließlich ist unsere Sexualität nicht einfach nur triebgesteuert, sondern auch durch soziale Normen und Vorbilder geformt. Aber irgendwie blieben die meisten Vorträge seltsam distant. So kamen z.B. Themen wie BDSM, Paraphilien, Pornographie und konkrete sexuelle Praktiken gar nicht vor.
Am letzten Tag gab es dann ein Panel zum Thema “Sexarbeit beforschen” und da habe ich eine Idee davon bekommen, warum das so sein könnte. Dort wurde berichtet, dass nicht nur Sexarbeiter*innen selbst, sondern auch Personen, die über Sexarbeit forschen, stigmatisiert werden. Ein Doktorandin hat, nachdem sie ihre Arbeit abgeschlossen hat, zum Beispiel von ihrer Familie gehört: “wir sind so froh, dass Du jetzt aus diesem Feld draußen bist”, so als wäre sie selbst Sexarbeiterin gewesen. Und das hat sich als Tenor durch die ganze Konferenz gezogen: nicht nur wird Sexualforschung kaum finanziell gefördert, sie ist auch selbst mit einem ziemlichen Stigma verbunden. Die Leute scheinen sich zu fragen: warum forscht die darüber, ist sie vielleicht selbst Sexarbeiterin oder lesbisch oder pervers oder sexuell auffällig. Kurze Antwort darauf: es gibt Sexualforscher*innen, die selbst queer sind, BDSMler*innen sind, sicher auch manche, die selbst Erfahrungen mit Sexarbeit haben. Aber natürlich nicht alle. Und nicht immer liegt der Grund für ein Forschungsinteresse in der eigenen Biographie. Botanikerinnen sind schließlich auch keine Gräser, nicht einmal immer Gärtnerinnen. Und trotzdem liegt bei Sexualforscher*innen der Schluss offenbar besonders nah. Ein Kollege hat mir erzählt, dass er entgegen seiner früheren Gewohnheiten jetzt immer Krawatte trägt – um besonders seriös und möglichst wenig “sexuell” rüberzukommen.
Kein Wunder also, dass das Themenspektrum der Konferenz eher vorsichtig ausgefallen ist. Noch dazu waren wir ja in Polen, wo alles, was mit Sex außerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau zu tun hat, nochmals problematischer ist. Trotzdem: ich würde hoffen, dass sich die Soziolog*innen, die sich mit Sexualität beschäftigen, irgendwann mal ein wenig mehr trauen (können). Und ich glaube diese Hoffnung ist nicht ganz unbegründet: beim österreichischen Soziologiekongress in Salzburg im Herbst, bei dem ich mit zwei Kollegen gemeinsam eine Doppelsession zum Thema Sexualität leiten darf, wird es zum Beispiel gleich zwei Vorträge zum Thema Pornographie geben. Ich freue mich schon drauf!
Wie ist das bei Euch? Fragt Ihr Euch, wie Sexualforscher*innen zu ihrem Forschungsinteresse gekommen sind? Haltet Ihr uns für besonders “sexuell” oder “pervers”?
PS: Was ich den ganz besonders Neugierigen unter Euch nun zum Schluss doch noch verraten mag: wir haben einen der Konferenztage zwar in einer wirklich netten Schwulenbar ausklingen lassen, besonders sexy oder auch nur “touchy” war die Stimmung aber nicht; etwas jünger, queerer und veganer als sonst, aber ansonsten eine ganz normale akademische Konferenz.
Ich denke, das diejenigen es in diesem Forschungsgebiet leichter haben, die sexuell aufgeschlossen sind und keinerlei Hemmungen haben, sich mit anderen über auch intime Details auszutauschen. Das liegt sicher nicht jedem.
Drum drängt sich die Vermutung auf, das Sexualforscher*innen schon so “Früchtchen” sein werden!
(Um auf dein Bild zurück zu kommen: Dem Teerbauer sollte man auch keine Gartenplanung übertragen 🙂 )
Das stimmt schon. Es ist schon nicht ganz so leicht in einem vollen Hörsaal Worte wie “Selbstbefriedigung” oder “Erektionsschwierigkeiten” auszusprechen. Aber die intimen Details müssen natürlich nicht meine eigenen sein.