Sex im Sachcomic I: Der Ursprung der Welt
Comics anzuschauen, um sich ernsthaft mit Themen wie Liebe, Sexualität, Geschlecht auseinanderzusetzen: ehrlich gesagt, da wäre ich erstmal nicht drauf gekommen. Nun hatte meine Lieblingsbuchhandlung (keine Werbung- ich bekomme nichts dafür) gleich drei wunderbare einschlägige Comics vorrätig, die ich in den folgenden Tagen vorstellen will: “Der Ursprung der Welt” und “Der Ursprung der Liebe” (beide von Liv Strömquist) sowie “Queer – eine illustrierte von Geschichte” von Meg-John Barker und Julia Scheele.
Anfangen möchte ich mit “Der Ursprung der Welt” der schwedischen Comiczeichnerin, Feministin und studierten Politikwissenschaftlerin Liv Strömquist. “Der Ursprung der Welt” ist der Titel eines ziemlich expliziten Bildes von Gustave Courbet, das die behaarte Vulva einer mit geöffneten Schenkeln vor der Betrachterin/dem Betrachter liegenden Frau zeigt. Auf dem Titelbild von Liv Strömquists Ursprung der Welt sehen wir eine bekleidete Frau, die aber ebenfalls die Beine öffnet und mit ihren Händen vor ihrem Geschlecht ein Dreieck formt: das weibliche Geschlecht wird dargestellt, aber wir sehen es nicht. Und genau um diese Unsichtbarkeit geht es auch im Buch: so findet sich beispielsweise auf der Plakette, die die NASA 1972 mit der Raumsonde Pioneer ins All geschickt hat, um möglicherweise existierendes außerirdisches Leben über das Leben auf der Erde zu informieren, neben der Abbildung eines Mannes mit Penis und Hoden das Bild einer Frau ohne jeglichen Hinweis auf äußere Geschlechtsorgane. Kein Strich wo die “Scham”lippen aufeinander treffen, keine Schamhaare (von einer Klitoris ganz zu schweigen), nichts.
Aber nicht nur die NASA scheint das Bild einer Vulva offenbar so anstößig zu finden, dass selbst Außerirdische davor bewahrt werden müssen (sehr lustig das gezeichnete Szenario, wie diese auf eine Vulva-Plakette reagiert haben könnten – aber das müsst Ihr Euch schon selbst anschauen), auch in schwedischen Biologiebüchern wird das weiblich Geschlecht offenbar lediglich als Hohlform dargestellt, in das der Penis passt, als Vagina (aber nicht als Vulva). Mädchen, die solche Bilder vor Augen haben und sich selbst betrachten, müssen auf die Idee kommen, dass mit ihnen was nicht stimmt, dass da was zu viel ist. Dabei müssten wir einfach nur aufhören, über das weibliche Geschlecht als ein Loch (ein Nichts) zu sprechen. Und stattdessen zum Beispiel über Hahnenkämme singen…
Und wir müssten beginnen, die Dinge richtig zu benennen, und Abbildungen von Vulven nicht mit dem Begriff Vagina zu bezeichnen (auch dazu gibt es eine ziemlich coole Übersicht im Buch, die ich allen nur ans Herz legen kann).
In Liv Strömquists “Urspung der Welt” geht es aber bei weitem nicht nur um Unsichtbarkeit, sondern auch um Menstruation und das sie umgebende Tabu, um die Klitioris in all ihrer Tiefe, über indische Yonikulte und eurpäische Vulva- Herzeigerinnen (Sheela-na-gigs), über die Frau als invertierter Mann, über den Nutzen von Orgasmen und die Notwendigkeit eines Vulvadenkmals. Das ist alles nicht nur erhellend und gut recherchiert (sogar mit Fußnoten, das freut das Wissenschaftlerinnenherz) sondern auch ziemlich lustig. Das Lachen bleibt einem aber spätestens dann im Halse stecken, wenn es um die Männer geht, die sich nach Strömquist nicht zu wenig, sondern zu viel mit der Vulva beschäftigt haben: Männer, die eine afrikanische Frau mit langen Schamlippen als “Hottentottenvenus” ausgestellt haben, die eine “männlich” sich benehmende Königin exhumieren ließen (1965!) , um nachzuschauen, ob sie vielleicht ein Hermaphrodit war und männliche Ärzte, die Frauen die Klitoris wegschnitten (Kliteridektomie), weil sie “zu viel masturbierten”. Von vielen dieser Begebenheiten hatte ich noch nie gehört und entsprechend schockierend fand ich, in einem Comic davon zu lesen. Schockierend aber wichtig.
Ich war aber nicht nur schockiert, sondern hab wie schon geschrieben auch viel gelacht und hatte einige Aha-Momente. Die eindrucksvollen Illustrationen sorgen dabei dafür, dass man sich auch später noch an das Gelesene erinnert und die überall auf den Seiten verteilten “Fußnoten” bieten Anregungen für all diejenigen, die sich weiter in dieses Thema vertiefen wollen. Unbedingte Leseempfehlung also – nicht nur für Vulva-Besitzer*innen!
Der Ursprung der Welt von Liv Strömquist ist im Avant-Verlag erschienen und kostet ungefähr 20 Euro.
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