Ich habe für das Magazin Gschichterldruckerei einen Text über Pornographie geschrieben, als Antwort auf den dort erschienen Text „Onlinepornographie – Jugenddroge des 21. Jahrhunderts“. Diesen Text (für die ich natürlich bereits Kritik eingesteckt habe weil nicht feministisch), könnt ihr hier in voller Länge nachlesen. Dieser Blogbeitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version des Artikels.
Durch die leichte Zugänglichkeit von Onlinepornografie kommen Jugendliche so früh wie wahrscheinlich nie zuvor mit Pornografie in Kontakt. Das kann einem schonmal Sorgen machen. Doch nicht jede Sorge ist in dem Ausmaß, in dem sie vorgetragen wird, gerechtfertigt. Ich werde mir im folgenden die Punkte anschauen, die der Autor des Artikels „Onlinepornographie – Jugenddroge des 21. Jahrhunderts“ formuliert hat.
1 Pornografiekonsum führt zu falschen, schädlichen Körperbildern – das ist nicht belegt und nur teilweise plausibel.
Hierzu gibt es keine eindeutigen Studien, da zu Pornokonsum keine Experimente durchgeführt werden können, schon gar nicht mit Jugendlichen. Meine persönliche Einschätzung (nicht durch Studien gestützt) wäre, dass, was das allgemeine Körperbild angeht, andere Medien wie zum Beispiel Instagram, Youtube, Werbung etc. den deutlich größeren Einfluss haben. Anders sieht es wahrscheinlich aus bei der Form der Genitalien und in Bezug auf Intimbehaarung. Fraglich ist hier, inwiefern Pornographie hier ursächlich wirksam ist und inwiefern sie lediglich gesellschaftliche Ideale reproduziert. In Bezug auf die Intimbehaarung gibt es die These (leider weiß ich nicht mehr, wo ich das zuerst gelesen habe), dass die Darstellerinnen in Pornos zunächst einfach deswegen rasiert waren, damit kein Haar den Blick verstellt, und dass sich das rasierte Geschlecht daraufhin allgemein zum Schönheitsideal entwickelt hat. Was die Form der weiblichen Geschlechtsorgane angeht sehe ich keinen „filmischen“ Grund, warum hier die Pornographie idealbildend gewirkt haben sollte. Eher greift sie gesellschaftliche Ideale aus und ja, verstärkt sie dadurch wahrscheinlich auch.
2 Pornographie ist frauenverachtend – in geringerem Ausmaß als oft angenommen
Zunächst vorneweg: nicht jede Darstellung in der Frauen (vermeintlich) etwas tun, was Männer wollen oder (vermeintlich) zu etwas gezwungen werden muss als frauenverachtend gedeutet werden. Bzw. natürlich kann man das so sehen. Man kann Pornographie aber auch als einen Spiegel sexueller Phantasien sehen und hier kann man festhalten, dass Phantasien die mit Zwang, Unterwerfung und vermeintlicher Gewalt zu tun haben zu den häufigsten überhaupt zählen, auch und gerade bei Frauen. Es ist also davon auszugehen, dass auch Frauen durchaus mit Lust Pornographie nutzen, in der Frauen von Männern dominiert werden.
Zum anderen sind solche Darstellungen aber längst nicht so häufig und allgegenwärtig, wie manche glauben. Und vor allem: entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass Pornos in den letzten Jahren immer brutaler und frauenverachtender geworden seien, ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. So hat ein Forscher*innenteam der McGill University herausgefunden, dass sich der Anteil von aggressiver non-konsensueller Pornografie unter den beliebtesten Filmen einer großen Pornoplattform zwischen 2008 und 2016 deutlich reduziert hat – von 13 % auf weniger als 3% (hier ein sehr guter Artikel über diese Studie). Videos, in denen Frauen deutlich Lust zeigten, gehören hingegen zu den beliebtesten. Dazu passen die Ergebnisse einer Studie, die zeigt, dass das Körperteil das Männer am längsten betrachten wenn sie Pornos schauen nicht etwa der Po oder der Busen einer Frau sind, sondern ihr Gesicht.
3 Pornoportale verfolgen unternehmerische Interessen – natürlich, aber das ist nicht per se problematisch.
Ja natürlich verfolgen Pornoportale unternehmerische Interessen – genauso wie Amazon, Etsy und Facebook, aber auch der Biosupermarkt um die Ecke, das Schuhgeschäft, der Fahrradladen. Das wäre erst dann wirklich problematisch, wenn sie das mit unlauteren Mitteln täten oder versuchten, auf Gesetzgebung und Forschung in diesem Bereich Einfluss zu nehmen. Eine solche Behauptung müsste aber erst einmal belegt werden.
Unternehmerische Interessen verfolgt übrigens auch die andere Seite: Therapeutinnen und Therapeuten, die mit „Entzugs“-therapien Geld verdienen, die vor allem in den USA boomenden Entzugskliniken und Entzugs(online)programme für vermeintlich Sex- oder Pornosüchtige und Vertreter von NoFap-Bewegungen, die mit ihren Vorträgen und Büchern ebenfalls gutes Geld verdienen. Vor kurzem musste erst eine wissenschaftlcihe Zeitschrift ein Korrekturverfahren einleiten, weil ein bekannter Vertreter der NoFap-Bewegung in einem umstrittenen Paper seine eigenen kommerziellen Interessen nicht kenntlich gemacht hatte. Überrascht hat mich bei meinen Recherchen zum Thema „Pornosucht“ übrigens, wie schnell ich da bei ultrareligiösen Gruppierungen und Personen lande, die gerne auch gleich mal Homosexualität und Masturbation wegtherapieren wollen. So wird in Zeitungsartikeln zum Beispiel beim Punkt Behandlungsmöglichkeiten auf das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft verwiesen – klingt harmlos, ist aber eine Organisation die sich unter anderem für “Forschungs- und Behandlungsfreiheit bei der Homosexualität” einsetzt, was konkret heißt, dass sie sog. Konversionstherapien durchführen, die aufgrund ihrer Schädlichkeit aus gutem Grund in vielen amerikanischen Bundesstaaten verboten sind – von den homophob diskriminierenden Implikationen ganz zu schweigen.
4 Die Pornoindustrie drängt unerfahrene Mädchen in Darstellerinnenjobs und fördert damit den Menschenhandel – das mag es geben, ist aber nicht die Regel.
Hierzu ist die Datenlage für mich noch unklar. Wenn es allerdings wirklich so wäre, dass Menschen diesen Beruf nicht aus freien Stücken wählen, dann müssten sie ziemlich unglücklich sein. Dann wäre auch der Anteil der Personen mit psychischen Störungen in dieser Personengruppe deutlich höher. Und dann wäre zu erwarten, dass unter ihnen deutlich mehr Personen mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit sind (denn irgendwoher müsste ihre Bereitschaft ja kommen, diesen Job auszuüben). All dies ist jedoch nicht der Fall, wie eine Studie des amerikanischen Psychologen James D. Griffith zeigt.
Womit Darstellerinnen und Darsteller allerdings tatsächlich zu kämpfen haben, ist das Stigma, das mit ihrem Job nach wie vor verbunden ist, mit der Tatsache, dass ihnen unterstellt wird, sie könnten diesen Beruf nicht aus freien Stücken gewählt haben und es könnte dementsprechend etwas nicht mit ihnen stimmen.
5 Pornographie macht süchtig – nein, hierfür gibt es keine ausreichenden Belege
Hier kommen wir zur zentralen Behauptung des Artikels. Denn ja, wenn Pornographie ein ähnliches Suchtpotential hätte wie Heroin oder auch nur Nikotin, dann müssten Jugendliche tatsächlich davor geschützt werden. Tatsächlich ist „Pornosucht“ allerdings keine anerkannte psychische Störung wie etwa Alkoholsucht oder auch Spielsucht. Obwohl es einige Versuche verschiedener Interessensgruppen gab, sie dort zu verankern, findet sich Pornosucht in keinem der beiden großen Diagnosesysteme ICD und DSM. Zwar wurde in die neuste Auflage des ICD, ins ICD 11, eine Störung namens Compulsive Sexual Behavior Disorder aufgenomen, aber weder geht es hierbei speziell um Pornographie, noch bedeutet das, dass es sich um eine Sucht handelt, dass also Sex im allgemeinen oder Pornokonsum im besonderen als süchtig machend angesehen werden. Das gibt die Forschungslage nicht her. Wenn Pornographie süchtig machen würde, müssten Konsument*innen immer mehr und/oder immer extremere Inhalte konsumieren. Das ist jedoch nicht der Fall. Und wenn sich Menschen selbst für pornosüchtig halten, dann hat das mehr mit ihrer moralischen Einstellung gegenüber Pornographie zu tun als mit ihrem tatsächlichen Konsum (hier habe ich schon darüber geschrieben).
Auch die häufig erwähnte Studie der Neuropsychiaterin Valerie Voon in der gezeigt wurde, dass Pornographie bei intensiven Konsumenten dieselben Gehirnregionen aktiviert wie Heroin bei Heroinsüchtigen, ist kein ausreichender Beleg. Das ist lediglich ein Hinweis auf „spezifisch“ ausgebildete Belohnungszentren. Ich würde mal vermuten, dass meines besonders intensiv auf Schwarzwälder Kirschtorte reagiert. Trotzdem wird (hoffentlich) niemand auf die Idee kommen, mich deswegen für psychisch krank zu halten oder überhaupt Kirschtorten zu verbieten.
6 Pornosucht führt zu „statistisch bewiesener Zunahme an Vergewaltigungen, ehelich-häuslicher Gewalt, Trennungen und Job-Verlusten“ – nein, das ist so nicht richtig.
Zunächst einmal: eine „statistisch bewiesene“ Zunahme von Vergewaltigung, ehelicher Gewalt etc. gibt es nicht. Über längere Zeiträume betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, sogar gesunken. Wenn die Zahl bestimmter Delikte wie zum Beispiel von Vergewaltigungen oder sexuellen Belästigungen zwischendurch (sprunghaft) ansteigt, ist das häufig darauf zurückzuführen, dass sich die Gesetzgebung geändert hat. So ist beispielsweise in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 überhaupt strafbar.
Doch selbst wenn sich eine Zunahme beobachten ließe, hätte diese ziemlich sicher nichts mit einem vermehrten Pornografie-Konsum zur. So konnte Neil Malamuth in einem breit angelegten Review verschiedener Studien zeigen, dass der Konsum non-konsensueller Pornografie nur bei einer sehr kleinen Personengruppe das Risiko aggressiven Verhaltens erhöht: bei Männern, die aus anderen Gründen schon eine erhöhte Aggressionsneigung haben. Dies gilt überdies nur für Pornografie, in der nicht einvernehmlicher aggressiver Sex gezeigt wird und Kinderpornographie (die ja auch nicht einvernehmlich ist), die wie wir oben gesehen haben, sowieso nur von wenigen Menschen konsumiert wird. Nicht einmal auf die sexuelle Zufriedenheit scheint Pornografie-Konsum in der Regel negative Auswirkungen zu haben – nur bei streng religiösen Männern ist regelmäßiger Pornokonsum mit einer verminderten sexuellen Zufriedenheit assoziiert (hier ein guter Blogartikel dazu).
Ach und übrigens: Pornografie-Konsum führt nicht zu Impotenz, da sind sich Wissenschaftler*innen inzwischen einig.Generell denke ich, dass es nicht nötig (und wahrscheinlich auch gar nicht möglich) ist, Jugendliche von Pornografie fernzuhalten, dass aber eine gute Sexualaufklärung wichtig wäre, die ein alternative oder zumindest breitere Bilder von Sexualität und Körpern vermittelt.