“The Artist and the Pervert” – vom Beschämtwerden und sich-nicht-beschämen-Lassen
Zur Zeit findet in Wien das 2. Porn Film Festival Vienna statt. Nach “What is porn?” im letzten Jahr, lautet das Thema dieses Jahr “What ist shame?”. Eröffnet wurde es mit dem Dokumentarfilm “The Artist and The Pervert” von Beatrice Behn und René Gebhardt, und kein anderer Film hätte besser passen können. Erzählt wird darin von der Beziehung zwischen dem berühmten aus Österreich stammenden Komponisten Georg Friedrich Haas und seiner Frau Mollina Williams-Haas. Williams-Haas ist Autorin und Performerin, sie ist Afro-Amerikanerin und – darf sie das denn? – die Sklavin ihres Mannes. Die beiden leben in einer BDSM-Beziehung: 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.
Der Film beobachtet das Ehepaar dabei, wie es arbeiten, wie es seine zweiten Flitterwochen verbringen – weil er in den ersten 15 Stunden am Tag komponiert hat -, wie Mollena Georg das Frühstück zubereitet, wie sie für ein gemeinsames Werk proben, wie sie Arm in Arm schlafen. Und er ist auch hautnah dabei, wenn Georg Mollina den Hintern versohlt und sie dabei unverkennbar lustvoll (und nicht etwa vor Schmerz) stöhnt, was die Frage aufwirft, wer hier gerade wem dient.
Trotzdem: eine schwarze Amerikanerin, die ihrem weißen Mann als Sklavin dient und sich dabei als frei beschriebt – das ist eine Provokation. Doch nicht nur das. Auch Musikwelt und Publikum haben sich offenbar provoziert gefühlt von der Offenheit, mit der die beiden die eigene Sexualität leben. Als die New York Times einen ganzseitigen Artikel über das ungewöhnliche Paar mit seinem aufsehenerregenden Privatleben brachte, kommentierten nicht nur besorgte Feminist*innen und wütende Antirassist*innen (die Mollena unter anderem schwarzen Selbsthass vorwarfen) sondern auch Musikliebhaber*innen, die sich nun offenbar in ihrem Genuss der Haas`schen Musik gestört fühlten – weil sie dabei jetzt immer an SM und Bondage denken müssten. “The Artist and the Pervert” zeigt nicht nur eine Auswahl dieser Kommentare, er lässt auch einen Musikkritiker* zur Wort kommen, der vordergründig tolerant doch zum Ausdruck bringt, dass er sich gewünscht hätte, nicht mit diesem “Schweinekram” behelligt worden zu sein. Damit ist er so ein typisches Beispiel dafür, wie Beschämung von Menschen mit einer “devianten” Sexualität heute funktioniert, dass es sich lohnt, sich die Elemente seines Statements genauer anzusehen.
(1) “Mich interessiert das eigentlich nicht”. In Bezug auf Schwule auch gerne gehört in der Variante: “Warum müssen die das immer so raushängen lassen, ihr Sexualleben immer so in den Vordergrund stellen” und “ist mir doch egal, was die im Bett machen.” Die Botschaft dahinter: “ich bin ein unglaublich toleranter Mensch, tut was ihr wollt, aber bitte sprecht nicht drüber”
(2) Der Kritiker sagt, dass er in einer konservativen Gesellschaft wie dem Iran vielleicht ein solches Outing unterstützt hätte, in einer “überaufgeschlossen” Gesellschaft wie der unseren sei das ja aber nicht nötig. Dieses Argument kommt gerne auch in der Variante “aber Sex ist doch heute kein Tabu mehr, was machen dir Menschen nur so ein Riesending daraus” vor und unterminiert die aufklärerischen Motive, die jemand damit verfolgen könnte, offen zu den eigenen sexuellen Wünschen und Praktiken zu stehen. Wenn es kein Tabu zu brechen gibt, wenn eh alles gut ist, warum sollte man darüber dann noch sprechen?
(3) “Ich weiß das lange bevor er es öffentlich gemacht hat”. Auch das habe ich schon häufig gehört und zwar in Form von: “Ich wusste schon, dass er schwul ist, als er es selbst noch nicht gewusst hat.” Meiner Meinung nach ein besonders perfide Form der Beschämung, da man sich über die Person erhebt und vorgibt, mehr über sie zu wissen, als sie selbst.
Interessant ist, was nicht gesagt wird: das ist krank, das ist abnormal, das ist pervers. Stattdessen kleidet sich die Ablehnung in Sorge. Zum Beispiel in Sorge um die Karriere der betreffenden Person. Oder kommt im Vorwurf daher, jemand wolle nur besonders aufsehenerregendes Selbstmarketing betreiebn. Und zeigt sich vor allem in der Forderung, das Private nicht öffentlich werden zu lassen. Und genau das ist meiner Meinung nach ein zentrales Merkmal von Beschämung: Warum bist Du denn nackt? Warum machst Du Deine Sexualität zum Thema? Das gehört sich doch in der Öffentlichkeit nicht!
Wie gehen nun Haas und Williams-Haas mit der Beschämung um? So wie es im Film erscheint: indem sie sich weigern, sich zu schämen. Indem sie sich offen zeigen und ihre Sexualität offen leben. Und indem sie betonen, vor allem Georg Friedrich Haas tut das, wie wichtig er es selbst gefunden hätten, in jüngeren Jahren ein Vorbild gehabt zu haben. Die Bestätigung, dass er damit anderen hilft bekommt er in Form von hunderten von Briefen. Drei davon hätten den Satz “you saved lifes” enthalten.
Aber nicht nur Mollena und Georg weigern sich, sich zu schämen. Auch die Macher*innen des Films haben sich offenbar der Scham verweigert. Sie haben sich nicht geschämt, ganz nah heran zu gehen und alles zu zeigen. Sie beschämen aber auch nicht, weder ihre Protagonist*innen, noch ihre Zuschauer*innen. Ich habe mich während des Films keine Sekunde lang fremdgeschämt – und normalerweise bin ich Meisterin im Fremdschämen. Wie sie das hinbekommen haben, in einer Welt, in der subtile und weniger subtile Beschämung von Sexualität an der Tagesordnung ist, ist mir ein Rätsel.
Der Film “The Artist and the Pervert” hatte im Rahmen des Porn Film Festival Vienna seine Österreichpremiere und kommt Ende Mai in die österreichischen und deutschen Kinos.
* Der Name des Kritikers wird im Film genannt, ich habe mich aber entschieden, ihn hier nicht zu nennen, da es mir nicht um ihn als Person sondern um ein allgemeines Argumentationsmuster geht.
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