Weg mit den Schamlippen…
…und zwar aus dem Sprachgebrauch! Wie verschiedene Medien, wie Zeit, TAZ und Deutschlandfunk berichtet haben, fordern die Kulturwissenschaftlerin Mithu M.Sanyal, Autorin des wunderbaren Buches „Vulva – eine Kulturgeschichte„, und die Journalistin Gunda Windmüller in einer Petition im Duden das Wort „Schamlippen“ durch das Wort „Vulvalippen“ zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen. Schließlich gebe es nichts zu schämen „da unten“.
Die Dudenredaktion wird dieser Forderung höchstwahrscheinlich so schnell nicht nachkommen, verfolgt der Duden doch das Ziel, den aktuellen Sprachgebrauch abzubilden und nicht etwa sprachbildend zu wirken (auch wenn sicher anerkannt wird, dass nicht nur Wirklichkeit Sprache formt, sondern Sprache auch Wirklichkeit). Wahrscheinlich aber geht es den Initiatorinnen der Petition gar nicht in erster Linie um den Duden, sondern darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Worte wir da im Alltag verwenden, und was gute Alternativen sein könnten. Entsprechend fordern sie in ihrer Petition die Unterzeichnenden und Leserinnen und Leser dazu auf, das Wort Vulvalippen selbst häufig zu verwenden (auch zum Beispiel in sozialen Medien) und Ärztinnen, Pädagogen, Therapeutinnen zu bitten, es ebenfalls zu tun.
Ich finde es sehr sinnvoll, sich zu überlegen, warum Geschlechtsorgane – und hier vor allem die weiblichen – (oder habt Ihr schonmal was von „Schameiern“ oder dem „Schamschaft“ gehört?) – in unserer Sprache mit Scham und schämen assoziiert sind, glaube aber ehrlich gesagt nicht wirklich, dass wir uns bei jeder Verwendung des Wortes Schamlippe wieder daran erinnern, dass wir uns da wohl zu schämen haben. Allerdings fände ich es aus einem anderen Grund ziemlich gut, wenn sich das Wort Vulvalippe im deutschen Sprachgebrauch einbürgerte: weil damit vielleicht endlich auch das Wort Vulva mehr Verbreitung fände. Hier habe ich darüber geschrieben, wie seltsam ich es finde, dass wir die sichtbaren weiblichen Geschlechtsorgane – eben die Vulva – mit einem Begriff – Vagina – beschrieben, der eigentlich den unsichtbaren Teil, die Hohlform, bezeichnet, so als sollte da bei der Frau lieber nichts sichtbar sein. Wenn wir Vulva zu sagen begännen, wenn wir die Vulva meinen und nicht Vagina, dann – glaube ich – würde sich damit durchaus etwas ändern in unsere Vorstellung über die Wirklichkeit „da unten“ und damit so langsam auch die Wirklichkeit selbst.
Deshalb: Her mit den Vulvalippen!
Hach, ich werde hier noch zum Querulant!
Du kannst dir sicher denken, liebe Autorin, dass ich deinen im übrigen sehr gewagten Schlussausruf nur bedingt unterstützen kann. Warum?
Solange es uns nicht gelingt, unsere Jugend dazu zu führen, derbe, vielleicht sogar verletzenden Begriffe für den weiblichen Genitalbereich lauthals im Standardwortschatz zu verwenden, so lange ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn Frau durch den Gebrauch des Wortes „Scham“ daran erinnert wird, dass sie „da unten“ doch etwas besonderes hütet.
…….vielleicht schaffen wir besser das Wort „schämen“ selbst ab!
Ich kann dem Artikel gänzlich, dem vorangegangenen Post gar nicht zustimmen. Ich halte Scham (bzw. die Assoziation dazu) nicht für ein geeignetes Instrument, einen bewussteren und achtsameren Umgang junger Menschen mit ihren Körpern zu vermitteln. Hier bräuchte es meines Erachtens eher Maßnahmen in Richtung Empowerment und Modernisierung von Geschlechterrollenbildern – was Scham ziemlich entgegenläuft.
Neben der Genderasymmetrie beinhaltet die deutsche Sprache leider unzählige derartige antiquierte Begriffe, die pädagogisch und assoziativ ziemlich kontraproduktiv sind. Ich selbst ärgere mich wohl am häufigsten über den Begriff „Kinderschänder“ (üblicherweise nicht gegendert), der suggeriert, dass bei sexuellen Übergriffen Schande über das Kind gebracht wird, i.e. das Kind sich zu schämen hat. Ich finde, dieses Beispiel verdeutlicht noch klarer, was auch für die Schamlippen gilt: Wenn wir wollen, dass Tabus gelockert, Missstände angesprochen und Probleme bearbeitet werden, sollte Scham nicht forciert sondern proaktiv durch Aufklärung und Selbstbestimmung ersetzt werden.